Mittwoch, 5. November 2025

Bundesanstalt für Straßenwesen: Infoblatt Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung „Cannabis“

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hat ein Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis (CanG) auf den Weg gebracht, das am 1. April 2024 in Deutschland eingeführt wurde. In Artikel 14 des CanG werden die Neuregelungen zu den Fahreignungsfragen bei Cannabiskonsum beschrieben, wobei für Cannabis ein neuer Paragraf in die Fahrerlaubnis-Verordnung (§ 13a FeV) aufgenommen wurde. Weitere Änderungen der FeV erfolgten durch das am 22. August 2024 in Kraft getretene Sechste Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und weiterer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften. Aufgrund dieser Neuregelungen bedarf es einer Reihe von Anpassungen z. B. in den Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung (BGL) und den Beurteilungskriterien. Für die Überarbeitung der Beurteilungskriterien sind deren Herausgeber, die Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Verkehrsmedizin (DGVM) und die Deutsche Gesellschaft für Verkehrspsychologie (DGVP) verantwortlich. Da die Regelungen zu Cannabis im Kapitel 3.14 der BGL derzeit nicht mit dem neuen § 13a FeV übereinstimmen, soll dieses Informationsschreiben bis zur Anpassung der BGL eine Hilfestellung bei der Begutachtung von Cannabiskonsumenten bieten. Abhängigkeit von Cannabis Leitsätze Wer von Cannabis abhängig ist, ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen von Fahrerlaubnisklassen gerecht zu werden. Zur Diagnostik einer Abhängigkeit, den Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Kraftfahreignung sei in Analogie auf Kapitel 3.13.2 zur Alkoholabhängigkeit verwiesen. Nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen existieren bislang keine toxikologischen Marker (definierte Cannabinoid-Konzentrationen), die auf das Vorliegen einer Abhängigkeit schließen lassen. Sehr hohe THC- oder THC-COOH-Werte können ggf. in den Begutachtungsprozess zur Überprüfung der Fahreignung einbezogen werden. Es lassen sich jedoch keine konkreten Grenzwerte hierzu ableiten. Maßgeblich sind die Umstände im konkreten Einzelfall. Missbrauch von Cannabis - Fehlendes adäquates Trennverhalten Leitsätze Wer - auch ohne abhängig zu sein - über kein adäquates Trennverhalten zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Führen eines Kraftfahrzeugs verfügt, ist nicht in der Lage, den gestellten Anforderungen zum Führen von Kraftfahrzeugen beider Gruppen von Fahrerlaubnisklassen gerecht zu werden. Für ein adäquates Trennverhalten von Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs müssen ein ausreichendes Trennvermögen und eine zuverlässige Trennbereitschaft gegeben sein. Die durch den Substanzeinfluss hervorgerufenen Leistungs- und Wahrnehmungsdefizite sowie eventuelle Veränderungen der Risikowahrnehmung und -bereitschaft müssen eingeschätzt werden können, und es muss beurteilt werden können, ab wann nach Konsumende eine sichere Verkehrsteilnahme wieder möglich ist. Konsumenten müssen auch im berauschten Zustand in der Lage sein, diesen Vorsatz umzusetzen (Trennvermögen) sowie grundsätzlich motiviert und bereit dazu sein, nicht unter einer nicht fernliegenden verkehrssicherheitsrelevanten Wirkung ein Kraftfahrzeug zu führen und ihr Verhalten an den geltenden Grenzwerten für die Teilnahme am Straßenverkehr auszurichten (Trennbereitschaft). Der Begriff „nicht fernliegend“ definiert dabei einen Wahrscheinlichkeitsgrad für die Verwirklichung des Verkehrssicherheitsrisikos. Nach gängiger Rechtsprechung bedeutet dieser unbestimmte Rechtsbegriff, dass der Risikoeintritt „möglich“ ist, jedoch nicht wahrscheinlich, aber auch nicht „ganz unwahrscheinlich“. Das Erkennen einer nicht fernliegenden verkehrssicherheitsrelevanten Wirkung bedeutet aus diagnostischer Sicht u. a. auch, dass der Konsument in der Lage sein muss, einen beeinträchtigenden Substanzeinfluss wahrzunehmen und erkennen zu können, wann keine Beeinträchtigungen mehr vorliegen. Indizien für fehlendes adäquates Trennverhalten können in der Begutachtung beispielsweise sein, wenn  ein riskantes Konsummuster vorliegt. Dieses ist durch einen chronischen oder häufig übermäßigen Substanzkonsum, der zu einer ausgeprägten Toleranzbildung (Substanzgewöhnung) führt, gekennzeichnet. Nach den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen existieren bislang keine toxikologischen Marker (definierte CannabinoidKonzentrationen), die auf das Vorliegen eines riskanten Konsummusters schließen lassen. Auch hohe THC-COOH-Werte lassen nicht per se auf eine regelmäßig übermäßige Substanzaufnahme schließen.  eine häufige Kombination des Konsums mit mindestens einer weiteren psychoaktiven Substanz (inklusive Alkohol) vorliegt. Riskante Konsumformen wie z.B. eine intravenöse Verabreichung sind bei Cannabiskonsumenten nicht bekannt. Die Klärung von Eignungszweifeln bezüglich Art und Umfang des Konsumverhaltens sollte eine klinische Diagnosestellung der Substanzgebrauchsstörung beinhalten. Das ist z. B. der Fall, wenn die Diagnosekriterien für schädlichen Gebrauch nach ICD-10 erfüllt sind. Dabei sind auch die Begleitumstände des Konsums mit zu berücksichtigen wie z.B. besondere Umstände eines Verkehrsdelikts, die auf fehlende Verhaltenskontrolle hindeuten (z. B. das Führen eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr trotz deutlicher Anzeichen einer Intoxikation oder die Einbettung des Delikts in eine Reihe substanzunabhängiger Verkehrs- oder Strafauffälligkeiten [mangelnde Regelakzeptanz, mangelnde Impulskontrolle]). Eine Intoxikation kann vorliegen, wenn der Konsument z.B. ausgeprägte Angstzustände aufweist. Eine Intoxikationsbestimmung durch toxikologische Marker (bestimmte Cannabinoid-Konzentrationen) ist derzeit nicht möglich. Ein Verstoß gegen das CanG wie z.B. der Anbau einer vierten Cannabispflanze, die Überschreitung der Besitzmenge oder die Nicht-Einhaltung des Abstandgebotes stellen für sich allein genommen keine Indizien für riskantes Konsumverhalten dar. Ebenso gilt die Mitgliedschaft in einem Cannabisclub nicht als Indiz für regelmäßigen (übermäßigen) Cannabiskonsum und stellt auch nicht ein Indiz für riskantes Konsumverhalten dar. Weiterhin sollten auch die Auswirkungen des Substanzkonsums auf die psychische Leistungsfähigkeit gemäß BGL (Kapitel 2.5) und vor allem bei chronischem Konsum das Auftreten von sonstigen Folgeschäden geklärt werden. Da psychische Erkrankungen Anlass für Drogenkonsum im Sinne einer Selbsttherapie sein können, ist die Diagnostik ggf. vorliegender Komorbiditäten unerlässlich. Zu den Voraussetzungen für eine Wiederherstellung der Kraftfahreignung sei (in Analogie zu Alkohol) auf Kapitel 3.13.1 zu Alkoholmissbrauch verwiesen. Hinzuweisen ist darauf, dass die derzeitigen Drogen-Kursprogramme nach § 70 FeV das Ziel einer stabilen Abstinenz verfolgen. Hier bedarf es in Bezug auf Cannabis einer Überarbeitung / Ergänzung / Neukonzeptionierung (und ggf. Evaluation) der Kurskonzepte, da nun – ähnlich wie bei Alkohol – als Ziel der kontrollierte Umgang mit Cannabis ebenfalls (neben Abstinenz) beinhaltet sein sollte. Bei anderen Substanzen außer Cannabis ist nach wie vor Abstinenz ein Kursziel.