Robert
Bischoff
Am
10.März 2017 ist das „Gesetz zur Änderung
betäubungsmittelrechtlicher und anderer
Vorschriften“
in Kraft getreten, das die Verschreibung cannabishaltiger Medikamente
zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen regelt.
Wer
das Gesetz als „Legalisierung“ begreift, hat die Intention des
Gesetzgebers missverstanden; gleichwohl werden durch das neue Gesetz
die restriktiven Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) in
Bezug auf Cannabis erheblich gelockert. Das hervorstechende Merkmal
des neuen Gesetzes ist eine veränderte Sichtweise auf den
Hauptwirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol) und die sogenannten
Cannabinoide. Galt Cannabis bislang offiziell vor allem als
brandgefährliche und nicht verschreibungsfähige Rauschdroge, so ist
der psychoaktive Hanf inzwischen fast zu einem „gewöhnlichen“
Medikament avanciert, was in Verbindung mit den erst ansatzweise
erforschten und validierten Heilwirkungen zu einer drastischen
Imageverbesserung der altbekannten Arznei- und Rauschdroge geführt
hat.
Da
mir als Mitarbeiter der Drogenberatungsstelle sowohl von Klienten wie
auch von Kooperationspartnern immer wieder Fragen zur
Cannabisverschreibung und der Gesetzesänderung von 2017 gestellt
werden, habe ich es mir im vorliegenden Text zur Aufgabe gemacht,
Fragen zum Gesetz und zur Verschreibung cannabisbasierter Medikamente
in der Praxis
zusammenzutragen
und, sofern dies zum jetzigen Zeitpunkt bereits möglich ist, zu
beantworten.
Schon
vor der Gesetzesänderung konnten Patienten medizinische
Cannabisprodukte legal beziehen. Was ist eigentlich „neu“ an dem
„Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer
Vorschriften“?
Schon
vor dem neuen Gesetz konnte Cannabis in begründeten Ausnahmefällen
legal als Medikament genutzt werden. Dazu musste jedoch bislang eine
Ausnahmegenehmigung gemäß § 3 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) beim
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM)
beantragt werden, was mit einem erheblichen Aufwand für Patienten,
Ärzte und Apotheker verbunden war. Mit dem neuen Gesetz entfällt
das bisherige Verfahren des Einzelantrags, wodurch Cannabis den
Status eines „normalen“ Medikaments erhält, das im Regelfall
durch die gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden muss.
Durch
das neue Gesetz wird das BtMG dahingehend geändert, dass Cannabis
jetzt nicht mehr in Anlage 1 (weder verkehrs- noch
verschreibungsfähige Betäubungsmittel), sondern in Anlage 3 des
BtMG (verkehrs- und verschreibungsfähige BtM) gelistet wird.
Welche
Produkte können verschrieben werden?
Verordnungsfähig
sind Cannabisblüten unterschiedlicher Sorten, Cannabisextrakte
(Öle), Rezepturarzneimittel (Dronabinol) sowie Fertigarzneimittel
(Sativex, Canemes, Marinol).
Wie
werden die Cannabismedikamente verabreicht?
Cannabis
kann im Allgemeinen sowohl inhaliert als auch oral eingenommen
werden. Die Inhaltsstoffe von Cannabisblüten können mit Hilfe von
Vaporisatoren verdampft und inhaliert werden. Da bei der Verbrennung
von Cannabisblüten und Tabak giftige Verbrennungsprodukte (Teer)
entstehen, kann das Rauchen als Joint aus gesundheitlichen Gründen
nicht empfohlen werden. Zur oralen Einnahme stehen Cannabisextrakte
(Öle), Dronabinol und Fertigarzneimittel zur Verfügung.
Wo
kommt das verschriebene Cannabis her?
Bisher
wurde das Cannabis aus den Niederlanden und Kanada importiert. Ab
2019 soll auch in Deutschland Cannabis geerntet werden. Das
Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat eine
Cannabisagentur eingerichtet, die Anbau, Ernte, Qualität und Handel
sowie die Abgabe an Großhändler, Apotheker und Hersteller in
Deutschland kontrollieren soll. Außerdem ist die Cannabisagentur für
die Durchführung einer wissenschaftlichen Begleiterhebung
verantwortlich, die weitere Erkenntnisse zu Cannabis als Medizin
liefern soll.
Wer
kann Cannabis vom Arzt verschrieben bekommen?
Voraussetzung
für die Verschreibung von Cannabis als Medikament ist, dass der
Patient unter einer „schwerwiegenden Erkrankung“ leidet. Weder im
Gesetzestext noch in der Gesetzesbegründung wird jedoch näher
ausgeführt, welche Erkrankungen als schwerwiegend zu bewerten sind.
Im Kontext des fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) wird eine
Krankheit als schwerwiegend betrachtet, wenn sie lebensbedrohlich ist
oder die durch Krankheit verursachten Gesundheitsstörungen die
Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen (vgl. § 34
Absatz 1 und § 35 Absatz 2 SGB V).
Als
weitere Voraussetzungen für die Verschreibung cannabishaltiger
Arzneimittel zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen legt § 31
Absatz 6 SGB V fest, dass
1.
eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende
Leistung
a)
nicht zur Verfügung steht oder
b)
im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden
Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung
der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des
Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung
kommen kann,
2.
eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare
positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende
Symptome besteht.
Da
§ 31 Absatz 6 darauf verzichtet, konkrete Krankheitsbilder zu
benennen, hat
letztlich
der behandelnde Arzt zu entscheiden, ob die Verordnung
cannabisbasierter Medikamente medizinisch indiziert ist. Allgemein
anerkannt ist die Anwendung von
Cannabis
bei Übelkeit und Erbrechen (bei Chemotherapie), Appetitlosigkeit
und Übelkeit (bei Krebs- oder Aids-Patienten), neuropathischen und
chronischen Schmerzen sowie Spastik bei Multipler Sklerose. Als
weitere Anwendungsgebiete werden ADHS (Hyperaktivitätssyndrom),
Depression, Tourette-Syndrom, Darmerkrankungen (z.B. Morbus Crohn),
Epilepsie u.a. diskutiert. Es wird allgemein angenommen, dass
Cannabis ein sehr breites therapeutisches Spektrum aufweist. Da
jedoch für viele Krankheitsbilder noch keine ausreichenden
Forschungsergebnisse vorliegen, soll über den Zeitraum von fünf
Jahren eine wissenschaftliche Begleiterhebung der durch die
Krankenkassen genehmigten Behandlungen durchgeführt werden.
Stellt
eine bestehende Cannabisabhängigkeit eine medizinische Indikation
für eine Cannabisverschreibung dar? Kann der illegale THC-Konsum
(analog zur Opiat-Substitution) durch eine Verschreibung substituiert
und damit legalisiert werden?
Eine
Cannabisabhängigkeit ist keine Indikation für eine medizinische
Cannabisverschreibung. Das Vorliegen einer Suchterkrankung kann sogar
eine Kontraindikation darstellen, weshalb eine Verschreibung von
Cannabis bei suchtkranken Patienten besonders sorgfältig zu prüfen
ist. Eine Verschreibung von Cannabis zum Zweck der Substitution ist
vom Gesetzgeber nicht vorgesehen.
Wer
darf Cannabis verschreiben?
Ärzte
aller Fachrichtungen, ausgenommen Zahnärzte und Tierärzte, dürfen
cannabisbasierte Medikamente verschreiben. Eine spezifische
Weiterbildung (wie z.B. die „Fachkunde Suchtmedizin“ in der
Substitutionsbehandlung) ist nicht erforderlich.
Wer
bezahlt die Kosten der Behandlung?
In
der Regel müssen die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten der
Behandlung übernehmen. Die Cannabis-Therapie kann aber nur dann mit
der Krankenkasse abgerechnet werden, wenn die Krankenkasse die
Behandlung zuvor genehmigt hat. Allerdings legt das Gesetz
ausdrücklich fest, dass die Krankenkasse eine Genehmigung „nur in
begründeten Ausnahmefällen“ verweigern darf (§ 31 Abs. 6 Satz 2
SGB V).
Wie
sieht die Verschreibung cannabisbasierter Medikamente in der Praxis
aus?
Nach
Angaben des Deutschen Hanfverbandes (Stand Januar 2018) erhalten ca.
13.000 Menschen Cannabis als Medizin zu Lasten der
Krankenversicherung. In ca. 7000 Fällen wurden die Anträge von den
Krankenkassen abgelehnt, obwohl die Krankenkasse eine Kostenübernahme
eigentlich nur in begründeten Ausnahmefällen verweigern darf.
Harald Terpe, Drogenexperte der Grünen-Bundestagsfraktion beklagt
„massive Probleme bei der Umsetzung“ des Gesetzes (Spiegel Nr.
36/2017). Von einem „Bürokratiemonster“ spricht die
Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ebenda).
Bei
vielen Ärzten bestehen erhebliche Vorbehalte gegen eine
Cannabisverschreibung. „Für die Ärzte macht es wirtschaftlich
keinen Sinn, Cannabis zu verschreiben. Das ist eines der
Hauptprobleme der Neuregelung“, sagt Franjo Grotenhermen,
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin (ebenda).
Die
Preise für Medizinalhanf liegen über den Preisen auf dem
Schwarzmarkt. Das Bundesgesundheitsministerium hat die
Spitzenverbände von Apothekern und Krankenkassen aufgefordert, über
eine Reduzierung der Cannabisabgabepreise zu verhandeln (vgl.
ebenda). Hinzu kommen immer wieder auftretende Lieferengpässe.
Wenn
es nicht gelinge, Kassen und Ärzten ihre Pflichten bei der Umsetzung
des Gesetzes deutlich zu machen, müsse das Parlament diese Aufgabe
übernehmen und das Gesetz notfalls nachschärfen, sagt Harald Terpe
(ebenda).
Dürfen
Cannabispatienten nicht mehr Auto fahren?
Der
Gebrauch von Cannabis als Medikament ist grundsätzlich vom illegalen
Cannabiskonsum zu unterscheiden. Die Behandlung mit Cannabis schließt
nicht grundsätzlich die Fahreignung aus, wenn es sich dabei um die
„bestimmungsgemäße Einnahme“ eines verschriebenen Arzneimittels
handelt. Allerdings kann auch der medizinische Gebrauch von Cannabis,
sofern dieser bei der Führerscheinstelle aktenkundig wird, ein
Fahreignungsüberprüfungsverfahren nach sich ziehen. In diesem Fall
wird im Rahmen einer Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU)
u.a. die „bestimmungsgemäße Einnahme“ des Arzneimittels, die
Compliance des Patienten sowie die psychophysische Leistungsfähigkeit
des Kraftfahrers überprüft (siehe hierzu auch „Handlungsempfehlung
Cannabismedikation“ der DGVP und DGVM 2017).
Quellen:
Bühring,
P., Gießelmann, K.; in: Deutsches Ärzteblatt (2017); 114 (14):
A-675/B-582/C-568, Medizinisches Cannabis: der Arzt entscheidet über
Indikation
Bundesärztekammer
(2017), FAQ-Liste zum Einsatz von Cannabis in der Medizin
www.forum-substitutionspraxis.de/substanzen/cannabis/cannabis-als-medizin/4626-bundesaerztekammer-faq-liste-zur-verordnung-von-medizinischem-cannabis,
aufgerufen am 29.01.18
Deutsche
Gesellschaft für Verkehrspsychologie und Deutsche Gesellschaft für
Verkehrsmedizin (2017), Handlungsempfehlung Cannabismedikation.
www.dgvp-verkehrspsychologie.de/wp-content/uploads/2017/11/Handlungsempfehlung-_Cannabismedikation.pdf
„Nach
dem Rausch“, der Spiegel Nr. 36/2017, Seite 40/41
Aus:
Jahresbericht der Drogen- und Jugendberatungsstelle Lörrach 2017